thorsten tenberken artist
Dr. Pamela Pachel, Kunstverein Viernheim
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Laudatio: Dr. Pamela Pachl, Kunsthistorikerin, Mannheim "Wächter der Schwerkraft", Thorsten Tenberken im Kunstverein Viernheim 10.02.-11.03.2023
Auf einen ersten noch flüchtigen Blick könnte man meinen, uns werden klassische Historiengemälde einer Museumsgalerie gezeigt, die irgendwie ausgesprochen plastisch wirken.
Ein Trompe-l’œil?
Motive und stilistische Mittel, die Farbigkeiten, wie ein herrschaftliches Rot oder der bedeutungsschwere, gravitätische schwarze Hintergrund erinnern uns an aus der Kunstgeschichte bekannte Genres: Wir entdecken Schlachten, Adeligen- und Herrschaftsportraits, Stillleben und selbst die Darstellung des Tods eines Heerführers.
Bilder aus etablierten kunsthistorischen Epochen (der Renaissance oder dem Barock) und Genres, die einstmals mit der Intention der Repräsentation entstanden sind, zur Verdeutlichung des eigenen Status, der eitlen Selbstdarstellung, der Demonstration von Machtansprüchen. Doch hier und heute wird uns ganz schnell klar, so einfach ist das diesmal nicht.
Tenberken baut ganz eigene Reminiszenzen und Adaptionen von Historiengemälden.
Denn offensichtlich kann auf einmal selbst Rubens Löwenkampf mit einem Kochtopfhelm bestritten werden.
Thorsten Tenberken spielt versiert mit Erscheinungsformen und Strukturen klassischer Gemälde – und mit unseren Sehgewohnheiten.
Bildkompositionen, die Inszenierung von Licht und Schatten, selbst ein goldener Schnitt kann nun mit alten Besenstielen nachempfunden sein. Der beste Hengst im Stall ist ein altes Bettlaken.
Tenberken baut aus alltäglichen Materialien einen Habitus von Historienmalerei, Schlachtgemälden, Triumphbildern, Jagdmalerei nach, er erstellt Persiflagen.
Die etablierten Motive stellt der Hamburger Künstler auch als dreidimensionale Installationen nach. Er erweitert sie außerdem durch die Stop-Motion-Technik zu bewegten Bildern und Animationen. Er verwandelt gedacht Gemaltes in Assemblagen, ja in Readymades aus alltäglichen Gebrauchsgegenständen. Ein Hahnenkampf aus Kleiderbügeln, das Wildschwein aus dem Rattankorb. Tenberken denkt die Dinge um. Kurz gesagt: Gekonnt kombiniert und erfindet er neue Kunstgattungen. Keine der etablierten kunsthistorischen Begrifflichkeiten mag hier so richtig passen, darum schlage ich vor, wir einigen uns darauf festzustellen: Es ist ein echter Tenberken!
( ... .)
In seinen Werken erweitert er die Dimensionen einstmals etablierter Motive
auch in Bezug auf ihre räumliche Ausdehnung (vom 2- zum 3-Dimensionalen),
in Bezug auf die Zeit (mitunter entstehen filmische Narrationen) und in Bezug auf Statik und Dynamik (die Bewegung im Film ggü. eines statischen Bildes) und vor allem in Bezug auf ihre Intentionen: von steifem Ernst hin zu Humor und einer ordentlichen Dosis Selbstironie. Durch das Zitieren dieser klassischen Bildformensprachen und das gekonnte Spiel mit den stilistischen Mitteln – mitunter können wir eine geradezu barocke Inszenierung von Licht und dramatischem Schatten beobachten – fühlen wir uns erinnert, es kommt uns irgendwie bekannt vor, passt aber gleichzeitig doch nicht so ganz ins Bild. Artverwandschaften werden aufgedeckt. Die ursprünglich diesen Genres zugeordneten Intentionen werden banalisiert, durch die Adaptionen der Lächerlichkeit preisgegeben, enttarnt, ad absurdum geführt.
Der Künstler fungiert selbst als Hauptakteur seiner gebauten Gemälde. Mit Witz, Charme und Humor verwandelt er renommierte und respekteinflößende Heerführer in uns amüsierende Stop-Motion-Figuren, fast wie damals die kleinen Knetmenschen aus der Sesamstraße. Auch durch die fantasievollen Kostümierungen wird der Künstler zu einer wiederkehrenden und wandelbaren Kunstfigur. Durch den Einsatz der Technik von Bildmontagen wird der Protagonist zu seinem eigenen Doppelgänger, wird dadurch zu einer Tenberkchen Kunstfigur. Mehrfach und gleichzeitig kämpfen Doppelgänger in „Wächter der Schwerkraft” gegen eine widerspenstige Natur; machen den Gärtner, ergo, den Bezwinger der Natur, zu einer Witzfigur. So er ergeht es auch dem Plein-Air-Maler, der mehrfach und wiederholt bei sich selbst abmalt. Wenn der Künstler bei sich selbst abmalt, ist das dann – und hier gleiten wir tief in Bereiche der philosophischen Ontologie des Seins – ein Plagiat? Wer behauptet sich als Anführer, als Leitfigur unserer oftmals so ambivalenten Persönlichkeiten? Wie die abgründigen, chaotischen Mainzelmännchen in „Keiner von uns“, die sich sogar gegeneinander wenden. Der Doppelgänger wird zu seinem eigenen Gegner, verbündet sich groteskerweise mit sich selbst gegen seine Anteile.
Dadurch drängen sich uns Fragen auf: Wer ist eigentlich Thorsten Tenberken? Wo fängt der Künstler an, wo hört der private Mensch auf? Und wo und wie dazwischen existieren diese multiplen Tenberkchen-Klone? Wer ist das Original? Wer ist das Plagiat? Und wer sind eigentlich wir? Und wer bin eigentlich ich? Mit einem Untertitel wie „Fugato“, ein Fachbegriff aus der Musik, gibt uns der Künstler einen fruchtbaren Hinweis zum Verständnis seiner künstlerischen Fragestellungen:
„(lat. fuga= die Flucht): Sehr kunstvolle -> polyphone Satztechnik, bei der alle Stimmen gleichwertig und selbständig in wechselnder Einsatzfolge Thema und Gegenthema bringen.“
Auch Einflüsse seiner Theaterarbeit manifestieren sich in diesen Werken: Theater operiert, funktioniert und imponiert durch die Technik der Inszenierung. - Durch Illusionen von Raum und Zeit mittels oftmals weniger Kulissen. Der Künstler spielt mit unserer Desillusionierung. Eine Bühne, die Inszenierung wird hier nicht versteckt, sondern als solches in Szene gesetzt.
Durch den Einsatz dieser aus dem Theater bekannter Methoden spricht der Künstler uns bekannte narrative Techniken an. Bereits im Moment des Fallens der Objekte, wie z.B. im Wächter der Schwerkraft, entzaubert er die selbst erschaffene Magie und konfrontiert uns Betrachter*innen mit dem unvermeidlich tragischen Ende dieser kurzzeitig zum Leben erwachten Dinge.
Im Werkzyklus der „Urwald der Dinge“ steht der Protagonist im Widerstreit mit seiner Umwelt. Die „Rose der Symbiose“ ist dem Leben der historischen Figur des David Livingstone gewidmet. Der in Glasgow geborene Livingstone war Missionar und Forscher, begab sich 1840 zum ersten Mal auf Expedition nach Südafrika. Er suchte etwa die Quellen des Nils zu finden und gilt bis heute als Entdecker der Victoriawasserfälle. Er erkrankte schwer an Malaria und galt daraufhin in seiner Heimat jahrelang als auf mysteriöse Weise verschollen.
Tenberken präsentiert eine Installation aus Zelt und Projektionen. Die Videos zeigen, wie sich auf urkomische, slapstickartige Weise, die vom Menschen erschaffene Dinge gegen uns wenden. Ihre Handhabung kann sich gar zu einem Nervenkrieg und Überlebenskampf entwickeln. Es braucht ein Floß, um Müllberge im Flur zu bewältigen. Eine stetig angreifende Lampe. Ein Kampf, den hier auch mal ein Küchenstuhl gewinnen kann. Räumlichkeiten, menschliche Herbergen, gedacht und erschaffen als Ort der Zuflucht vor den Einflüssen der Natur. So etwa eine Küche, etwas theoretisch grundsätzlich Geordnetes, eskaliert zu einem chaotischen Zustand, einer unwirtlichen Gegend für den Menschen. Der Kontrollverlust manifestiert sich in der Tücke der Dinge. Jedoch wahrt Livingstone aka Tenberken immer die Contenance, stellt sich klaglos und mutig den Herausforderungen – trotz der Angriffe hinterlistiger Küchenschubladen. Dinge wenden sich gegen den Menschen, wie wilde ungebändigte Tiere in einem Dschungel.
Der Akteur wird zum Indiana Jones in einem „Urwald der Dinge“. Doch anstatt sich wie Livingstone ggü. einer gewachsenen Natur behaupten zu müssen, muss sich unser Antiheld ggü. vom Menschen erschaffenen Dingen behaupten. Tenberken als Akteur und in seiner Funktion als Schöpfer dieser Werke wird dadurch ebenfalls zum Forscher: Jedoch im Gegensatz zu Livingstone, zum Anthropologen und Soziologen und hinterfragt dadurch kritisch das Verhältnis vom Menschen zu seiner Umwelt und ontologische Zusammenhänge.
Es ergeben sich Bezüge zur Werkgruppe „Darwinismus und Sittlichkeit“. Auch hier adaptierte Tenberken ein historisches Motiv. Darwinismus gilt nun jedoch ggü. eigentlich unbelebten Dingen. Das Überleben des Stärkeren könnte in Tenberkens Welt auch ein außer Kontrolle geratener Küchenstuhl sein. Objekt und Subjekt verkehren sich. –Wer von uns hat nicht schon einmal mit der Frischhaltefolie gekämpft, der werfe das erste Handtuch.
Nach diesem innerhäuslichen Überlebenskampf können wir beim Betrachten des Werkzyklus „Mondfieber“ bzw. "Beleidige Satelliten" auch einmal kurz Ruhe spüren. Auf schwarzem Grund, im leeren Raum, in den unendlichen Weiten des Weltalls nimmt uns Tenberken mit auf Entdeckungsreise. Aus gewöhnlicher (Schlafzimmer-) Möblierung – eine Matratze, ein Paravent – lässt er uns die meist lautlosen Abenteuer eines Astronauten miterleben. Vom Dschungel (der Küche) reisen wir nun in die Schlafgemächer, glauben in manchen Bildern gar die Stille des Vakuums zu hören - Wir beobachten einen Wächter der Schwerkraft.
Die Prägung dieses außergewöhnlichen Künstlers durch den Film offenbart sich besonders in einer retrospektiven Betrachtung seines Schaffens. Als hätte der Künstler die Techniken des Films derart verinnerlicht, scheinen auch sein Denken und Wirken zumindest teilweise filmischen Strukturen zu folgen: Wie bei einem Videoloop, als Metapher des menschlichen Lebens, begegnen uns repetitive Elemente, aus denen er immer neue Motive, Themen und Werke erschafft: Eingesetzte Objekte werden wiederverwendet, tauchen in anderen Werken, in anderen Kontexten – wie der Kochtopf – wieder auf. Wie ein narrativer Handlungsstrang ziehen sich Widrigkeiten der Objekte, das Hinterfragen des Verhältnisses von Objekt und Subjekt, durch sein Werk.
Die Einflüsse des Theaters manifestieren sich in der Offenbarung und geradezu Desillusionierung von Bühne und Kulissen. Tenberken versteckt nicht; er zelebriert das eigentlich immer zu Verbergende. Auch die Doppelgänger und Simultanität begegnen uns wiederholt und gleichzeitig in diesen Werken.
Nicht zu vergessen, ist dieser feine Humor und smarte Ironie, die uns aus jedem dieser Werke heraus verschmitzt angrinst. – Wie ein Lächeln der Mona Lisa, nur anders. Tenberken montiert Techniken wie Installationen, Assemblagen, Ready-Mades, Fotografien, Videos zu Gesamtkunstwerken, die uns in seine besondere Welt eintauchen lassen. – Und ich frage mich: Woher nimmt dieser Mann diese Fantasie? Woraus nährt sich diese Kreativität und dieser Einfallsreichtum? Die viele andere inzwischen – auf dem Weg des Erwachsenwerdens, des Eingliederns in unsere postmoderne Leistungsgesellschaft längst verloren haben, ja, sich schon fast nicht mehr erinnern können, wie es einmal war, als sich ein Bettlaken noch ohne Weiteres in Sekundenschnelle in eine Höhle verwandeln konnte. Er hat seine Fantasie ganz offensichtlich genährt, gepflegt, zum Erblühen gebracht und für uns in vielschichtige und komplexe Kunstwerken manifestiert.
Der Legende nach wurde Livingstone nach jahrelangem Verschollenseins 1871 von einem Ausgesandten mit den Worten: “Livingstone, nehme ich an?” in Afrika wiederentdeckt. Wir können für uns nach diesem Kunsterlebnis mitnehmen, dass wenn uns das nächste Mal etwas Wunderbares, Groteskes, Urkomisches unterkommt, so könnten wir, um uns selbst – in dieser postmodernen Tragödie – ein wenig aufzuheitern, ein neugieriges: „Tenberken, nehme ich an?” formulieren.
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