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Vom Zeigen der Konstruktion
Thorsten Tenberken und Alexander Raymond
"Photo-Kunst-Raum-Hamburg" Dezember 2022
Eine Fotografie von Thorsten Tenberken, der „Hahnenkampf“. Ein dramatisches Bild in Rot und Schwarz dominiert die Szene, das Licht liegt hell auf den Vögeln, die umeinander zu springen scheinen. Alles ist gut erkennbar, selbst die Bewegungen sind wie in stillgestellter Aktion wiedergegeben. Aber sieht man wirklich, was man sieht? Denn genau betrachtet, fallen auf einem geknüpften Teppich sich zwei Konglomerate aus geknüllter Folie und ineinander gedrehtem feinen Stoff an - mit Applikationen aus Kunstfell mit Kronen aus einem Teekännchen mit nach vorn gereckten metallenen Krallen. Der Wald liegt im Dunkel, oder besser das graue Tuch, hinter dem schwach das Licht scheint zwischen den Falten. Wir ahnen also die Szene mehr, als dass wir sie erkennen.
Auf der anderen Seite das Bild „AI-z“ von Alexander Raymond. Ein helles, flächiges Bild, bei dem es schwerfällt, zu sagen, was darauf zu sehen ist. Man meint, ausgeschnittenes Papier und Wellpappe zu erkennen - wobei die Abschnitte keinen neuen Gegenstand bilden, sondern vielmehr sich selbst bedeuten. Darauf ist Malerei; unscharfe Kringel, die aber in einen sehr gegenständlichen Arm etwa einer Puppe zu münden scheint. Oben ein überwiegend verdecktes Gesicht in einem ausgeschnittenen Kreis und eine starke blaue Form, die wiederum wie alles als Cutout erscheint. Getragen sozusagen wird das Bild von einer braunen gemaserten Tischplatte - wenn man sich ihm über die Vogelperspektive nähert - auf der alles zu liegen scheint. Alles ist flächig und scharfkantig, zudem mit subtilen Schatten versehen, die den Objektcharakter extrem hervortreten lassen - aber das Bild in seiner Gesamtheit ist damit nur schwer zu begreifen.
In einer technisch wie inhaltlich intendierten, vollkommen unterschiedlichen Weise setzen hier der Foto- und Videokünstler Thorsten Tenberken und der Maler Alexander Raymond ihre Bilder zusammen - und sind dabei sehr nahe beieinander. Die im Bild von ihnen verwendeten Objekte und Materialien werden gleichermaßen gezeigt und wieder zum Verschwinden gebracht - im Sinne eines neuen Bildes. Denn darüber lassen sich die Zusammenhänge zwischen Alexander Raymond und Thorsten Tenberken herstellen: über das Spiel, das die Phantasie mit den Gegenständen treibt. Man kann sagen, dass beide Künstler auf ihre Weise eine Welt neu zusammensetzen.
Thorsten Tenberken hat Wurzeln in der Theater- und Bühnenarbeit, die über das grundsätzlich Narrative hinaus in seinen Fotoarbeiten, Collagen und Zeichnungen, sowie natürlich den Filmen und Videoinstallationen sehr präsent sind. Seine Arbeit an den Bewegtbildern ergänzt sein anderes Bildwerk, denn wie Fotografien im Übergang auch Stills aus den Videos sein können, befinden sich die Zeichnungen auch oft auf dem Weg zur Fotografie. Sowieso da, wo er das Gezeichnete mit der Collage zusammenführt, aber auch den reinen Zeichnungen ist bei aller Abstraktion das Filmische anzusehen.
Seine Motive sind unterschiedlich, es haben sich über die Zeit aber einige Serien ergeben, die Tenberken parallel weiterführt. Grund und Ursprung insbesondere des filmischen, aber auch des fotografischen Schaffens seit 1998 ist der Mensch in seinem Unvermögen, der Materie Herr zu werden, einen Durchblick im „Urwald der Dinge“ - und letztlich und eigentlich überhaupt einen Zugang zu seinem Dasein zu bekommen. Er stellt sich, so widersinnig das klingen mag, den ontologischen Fragen auf vielleicht beste Weise: über die Komik. Ironie und tiefere Bedeutung liegen natürlich eng zusammen in den Stücken, in denen die Protagonisten - in der Regel Tenberken selbst, allein oder in multiplizierter Vervielfältigung - in den selbstgeschaffenen Ritualen des Alltags verfangen sind und daran scheitern. Die Objekte sind voller Tücke, und der Mensch ist nicht Herr seines Handelns.
Die seit 2018 entstehende Fotoserie „Darwinismus und Sittlichkeit“ verweist schon im Titel auf die Stellung des Menschen in seiner eigenen Geschichte - wenn man so will, zwischen seiner Raubtiernatur und den kulturellen Versuchen, sich darüber zum erheben. Hier folgt Tenberken Bildern aus der Kunstgeschichte in die etwas vergessenen Seitenarme der „Jagdbilder“ - einem Genre, das natürlich Naturbeherrschung zum Thema hat, aber der Bestie ihr eigenes Drama des Auftritts zustehen lässt. Bildmotive wie der Hirsch auf der Lichtung am Berg oder der Kampf des Bären gegen die Hunde zeugen davon. Man kennt auch das Licht auf den schimmernden Fischen und den hängenden Hasen und genau das setzt Tenberken ein. Oberflächen und Stofflichkeit werden hervorgehoben, die Malerei wird zitiert nicht durch Mimikri, aber über die Farbtöne. Der Gegenstand - das Tier, die Wiese, der Berg - reicht in die Tiefen der Fasern, satt in den spezifischen Farben der Tücher und Decken vom Weiss der Bettwäsche in ihrem Spiel des genau eingefangen Lichtes. Die Schatten der Akteure erheben zudem alles in eine Dreidimensionalität vor der Baumkulisse absenkenden Lichts.
Alexander Raymond setzt in der Regel seine Bilder zusammen aus Fragmenten erlebter und also selbst gesehener Wirklichkeiten. Ausschnitte werden im Bild neu zusammengesetzt - durchaus im Sinne der Collage, auf eine surreale, wenn nicht sogar phantastische Weise. Es ist die sehr realistische Wiedergabe, die allerdings regelmässig auch durchbrochen wird. So entstehen in ihrer Gegenständlichkeit präzise Bilder, die dabei auch sehr malerisch sind in ihrer Bearbeitung. Seine Arbeiten der letzten Jahre sind - abhängig von jeweiligen Abstraktionsgrad - sowohl in räumlicher Perspektive als auch in der Fläche angelegt. Es kommt zu Überblendungen der Ebenen, die mit malerisch ausgefeilten Techniken ausgeführt optisch nicht leicht zu erfassen sind. So kann sich etwa eine mit allen Schattenfugen versehene hölzerne Figur mit dem sehr farbigen Hintergrund verbinden, obwohl doch sein Schlagschatten sich darauf befindet.
Es ist schon eine Malerei des Paradoxen, die Raymond betreibt: Pappkartons, Baumholz, Stoff oder Plastiktüten werden als gemalte Realitäten - unmittelbar und direkt - in das Bild eingefügt. Realitäten meint, dass sie gesucht oder gefunden, ausgewählt und in ihrer Erscheinung wiedergegeben werden. Den Motiven werden weitere in aller Dreidimensionalität beigefügt, so dass ein Tableau entsteht. Er entscheidet, wie weich die Ränder zueinander sind oder wie plastisch der Gegenstand auf der Fläche ist. So sehen wir manchmal Köpfe, deren Physiognomie der zufälligen Laune eines geknüllten Papiers entsprungen sein könnte - als seien sie Kommentare zu den frühen Porträts des Kubismus, die eine Dekonstruktion des Gegenstandes über die Zersplitterung der Oberflächen zum Ziel hatten. Ist es bei Tenberken eine Technik der Verdichtung, die er über die eingesetzten Materialen einsetzt, geht Raymond tendenziell ähnlich vor: besonders in den „AI“-Bildern mit ihrer oft porträthaften Gegenständlichkeit ist alles gleichzeitig da - Hell und Dunkel, Gesicht und Maske, Trompe l´oeil und lebendiges Antlitz. Raymonds Texturen neigen zu höchstmöglich scharfkantigen und kleinteiligen Details - besonders in den jüngeren, abstrakter komplexen Werken, die an kubistische Collagen denken lassen. Zudem sind die Oberflächen teils über und über mit irrealen Schatten bedeckt. Das alles gibt den Bildern eine traumähnliche Realität, wo eine Bewusstseinsebene in eine andere übergeht.
Peter Boué
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